Comedywatch: Sarah Silverman
Am Sonntag, 30. Dez 2007 im Topic 'Comedywatch'
Sarah Silverman liebt Fäkalwitze. Zum Beispiel übers Furzen. Dazu erfand sie gerade einen ganzen TV-Sketch. Der ging so: Silverman sitzt mit Freunden beim Brunch in einem Restaurant. Einer nach dem anderen lässt lachend einen fahren. Als Silverman dran ist, drückt auch sie fröhlich - und erstarrt dann entsetzt zur Salzsäule. Die Kamera zoomt auf ihr Gesicht. Sie flüstert: "Ich hab' in die Hose gemacht."
Doch damit nicht genug. Nahtlos geht die Szene in ein Musikvideo über. Silverman in einem weißen Wallekleid bei Sonnenuntergang am Felsenstrand, den Weltfrieden besingend: "Ich wollte doch nur sein wie die anderen", flötet sie verträumt, "but I pooped instead".
Man merkt schnell: Sarah Silverman, 36, ist keine normale Komödiantin. Sie schreckt vor nichts zurück: "Silverman bricht Tabus, von denen die meisten nicht mal wissen, dass sie sie haben", schrieb die "New York Times". Ein Pups ist dabei noch harmlos: Er ist, sagt sie, "die universelle Zeichensprache der Comedy".
Männer dürfen so was ja. Die Schreckensherrschaft des flatulenten Macho-Witzes ist ungebrochen: im Kino, in der TV-Late-Night, in Comedy Clubs. Frauen dürfen allenfalls platte Parodien wagen. Erst recht, wenn sie so lieblich sind wie Silverman mit ihrem unschuldigen Engelslächeln. Das setzt sie auch nicht ab, wenn sie Autogrammkarten unterzeichnet - mit "Vagina Silverman".
Die Geräusche der Vagina
Sarah Silverman kommt gerade zur rechten Zeit, denn die US-Comedy steckt in der Sinnkrise, im Niemandsland zwischen politischer Korrektheit und Anarchie, und Silverman ist der weibliche Borat - ein Vergleich, den sie selbst ermutigt. "Borat", sagt sie über den erfolgreichen Film ihres britischen Kollegen Baron Cohen, "war der geistig zurückgebliebenste und doch wichtigste Film, den ich seit Jahren gesehen habe."
Denn auch ihr eigener Witz gärt in den Grenzgefilden des guten Geschmacks. Sie macht sich über Schwule, Schwarze, Juden, Behinderte, Obdachlose und Leukämie-Patienten lustig. Sie wirft mit Sprüchen um sich, die den Zensurpäpsten die Galle aufkochen lassen. Und trotzdem hat sie jetzt den Sprung in den Mainstream geschafft - mit einer eigenen Sitcom im Kabelkanal Comedy Central, Heimat von "South Park" und Jon Stewart.
"Hey", trällert sie in einem Promo-Trailer, gekleidet in einen blütenweißen Tennisdress. "Für die meisten von euch, die Comedy Central gucken: Näher an eine Vagina werdet ihr nicht kommen!" Ja, vor allem die weibliche Anatomie hat es ihr angetan: Eine ganze Folge des "Sarah Silverman Programs" widmet sich diversen Geräuschen, die selbiges Organ machen kann.
Ihr Aufstieg, der sich 2005 mit einer Schock-Szene im Comedy-Untergrundfilm "The Aristocrats" manifestierte ("der erste aus Kot gemachte Wohlfühlfilm", lobte "Newsweek"), ist bezeichnend: Lange fristete Silverman mit ihrem Humor und der Miene einer frommen Klosterschülerin ein Schattendasein am Rande der Standup-Szene. "Stille Verderbtheit", so nannte es ihr Kollege Michael McKean, mit dem sie für "Saturday Night Live" Sketche schrieb.
"Juden lieben Antisemitismus"
Doch stille Verderbtheit ist heute salonfähig geworden. Selbst vor den Anschlägen vom 11. September 2001 macht sie nicht mehr halt, auch das ein Zeichen der Zeit: "Die waren verheerend, mehr als verheerend", sagt sie tief betroffen. "Besonders für mich, denn es war derselbe Tag, an dem ich herausfand, dass der Soy Chai Latte 9000 Kalorien hat. Ich habe den jeden Tag getrunken. Du hörst Soy, du denkst gesund. Und das ist eine Lüge!"
Oder Schwarze: "Jeder gibt den Juden die Schuld am Tod Christi. Und die versuchen es den Römern zuzuschieben. Ich bin eine der wenigen, die glauben, dass es die Schwarzen waren." Seit dem rassistischen Live-Ausbruch des früheren "Seinfeld"-Stars Michael Richards, der seine Club-Zuschauer im November 2006 als "Nigger" beschimpfte, fasst die gesamte Entertainment-Branche der USA Schwarze mit Samthandschuhen an. Nur Silverman nicht.
Oder war das doch eher ein Witz über Juden? "Juden lieben richtigen Antisemitismus", sagt Silverman, jetzt plötzlich völlig ernst. "Denn das ist etwas, was man fassen kann, um zu zeigen, wie real es ist. Es ist nicht nur Gas in der Luft." Silverman selbst kommt aus einer liberal-jüdischen Familie in New Hampshire. Ihr Vater brachte ihr schon als Dreijährige bei, "Bitch-Bastard-Damn-Shit" zu sagen. Als sie sechs war, ließen die Eltern sich scheiden. Silverman wurde, wie sie sagt, zur "knallharten Bettnässerin".
Blutfleck im Schritt
Den Rest ihrer Kindheit beschreibt sie so: "Ich würde es nicht noch mal machen wollen." Sie war schwer depressiv, landete bei einem Psychiater, der ihr das Antidepressivum Xanax verschrieb und sich dann umbrachte. Damals begann sie mit Standup-Comedy. Schmerz nährt bekanntlich den Humor.
Sie zog nach Manhattan, besuchte kurz die New York University und juxte sich durch die einschlägigen Clubs. Schließlich wurde sie von "Saturday Night Live" entdeckt, wo sie in der selben Saison arbeitete wie Mike Myers und Adam Sandler, einem alten Schulkameraden. Ihr einziger Sketch, der es bis zur Kostümprobe schaffte, wurde jedoch kurz vor der Show "gekillt", und zum Ende des Saison wurde sie wieder gefeuert.
Es folgten lange Jahre in den Comedy Clubs, Gastrollen in TV-Shows, Filmklamotten, in denen Sarah schockieren durfte. Einmal malte sie sich einen "Blutfleck" in den Schritt und tat ahnunglos, um die Reaktion des Saals zu testen. Nein, sie habe nicht ihre Periode, sagte sie am Ende: "Ich hatte heute zum ersten Mal Analverkehr." Ihr Konzertfilm "Jesus is Magic" brachte ihr 2005 erstmals ein breiteres Publikum - auch wenn die Kritiker ihn freudig verrissen. "Das verletzte meine Gefühle total", sagt sie heute noch. "Es war wie ein Tritt in den Magen."
Dann kam "The Aristocrats", ein Film, der einfach nur daraus bestand, dass eine Reihe von Komikern den selben sämigen Witz erzählten. Silverman gab ihm ihren eigenen Dreh: Sie erzählte von Joe Franklin, einem alten TV-Talkmaster. Und dann, ohne Vorwarnung, sprach sie in die Kamera: "Joe Franklin hat mich vergewaltigt." Franklin fand das gar nicht komisch und drohte mit Klage. Silverman schlug ungerührt zurück: "Der hat nicht den Mumm, zu klagen."
Fürze ziehen immer
Im vergangenen Jahr wurde sie eingeladen, die Spirit Awards zu moderieren, die Underground-Oscars am Tag vor der eigentlichen Oscar-Verleihung, zu der die Stars in ein Zelt am Strand kommen. Auch dort plapperte sie wie üblich von ihrer Vagina. Der Unterschied zu früher: Dieses Jahr wurde sie erneut als als Zeremonienmeisterin eingeladen. Die Zeit ist endlich reif für Sarah Silverman.
In ihrer Sitcom spielt sie ein Zerrbild ihrer selbst namens Sarah Silverman: rücksichtslos, arrogant, selbstverliebt, manipulativ. Das Debüt lockte 1,8 Millionen Zuschauer vor die Mattscheibe - die beste Serienpremiere auf Comedy Central seit 2004. Zahlen, die ihr langsam zu denken geben: Kann etwas noch subversiv sein, das solchen Erfolg hat? "Ich weiß nicht, wie lange es noch rebellisch ist, wenn jeder meinen Standpunkt vertritt. Es wird abgedroschen und irrelevant."
Nur die Fürze, die ziehen natürlich immer.