STADTALIS KOLUMNJE:

Ostdeutschland zu Gast bei Freunden


Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten, über Kunst aber auch nicht.

Kunst ist was gefällt sagte unsere Oma immer.

Oma ist out, MoMa ist in.

Wir die MoMa-Getty-Generation haben natürlich Verständnis für die vorletzte Generation und ihre antiquierten Vorstellungen von Kunst. Die hatten ja auch nichts, die haben ja alle mit nichts angefangen. Nach dem Krieg gab es ja nichts. So weit so schlecht.

Wer hatte denn noch nichts?

Die Ossis.

Richtig, die Ossis hatten nichts, die wollten aber ja auch nicht arbeiten; wissen jedenfalls unsere westdeutschen Väter zu berichten. Die müssen es wissen.

Kunst entsteht bekanntlich da, wo Zahnarztfrauen das Geld ihrer Männer ausgeben können, um Kunst zu kaufen. Wenn an einem Ort viel Obst verkauft wird sprechen wir von einem Obstmarkt. Wenn irgendwo viel Fisch verkauft wird, ist es der Fischmarkt. So verhält es sich mit der Kunst. Zahnarztfrauen wollen Kunst, viele Zahnarztfrauen brauchen viel Kunst, es entsteht ein Markt. Im Osten waren Zahnarztfrauen keine Zahnarztfrauen, sondern Ingeneurinnen oder Straßenbahnfahrerinnen oder Traktoristinnen.

Wir lernen: Die im Osten hatten nichts und reine Zahnarztfrauen gab es auch nicht, ergo keinen Kunstmarkt, ergo keine Kunst.

Das alles klingt so unglaublich, so verschroben, dass kann doch wohl nicht wahr sein. Das glauben offenbar einige Menschen in Süddeutschland, die jetzt ein riskantes Manöver gewagt haben. Und das kam so:

Offenbar haben Künstler, – im Westen gibt es die ja – Künstler, in diesem Fall Keramiker in Freiburg irgendwann mitbekommen, dass vor einigen Jahren die Mauer gefallen war, die Ost und West bis dato trennte.

Dies ist insofern erwähnenswert, als dass viele Menschen sicher bis heute am real existierenden wiedervereinigten Deutschland so ihre Zweifel haben. Und wie das so ist, saßen diese Künstler wahrscheinlich abends beim Wein zusammen und haben überlegt, ob es auch im Osten Künstler gab.

Der Osten, dass wussten sie, das ist die Gegend, wo ostdeutsch gesprochen wird, ein lustiger Dialekt, über den sich unsere badischen Künstler bestimmt köstlich amüsieren konnten.

Ostdeutsch kennt jeder, der Walter Ulbricht mal im Fernsehen gesehen hat, zum piepen.

Und wie sich westdeutsche Ingeneure sicherlich fragen, ob die Ossis richtige Maschinen bauen konnten, was bezweifelt werden darf, wenn man sich die Autos anschaute und so weiter, haben sich die badischen Keramiker sicher auch gefragt, ob es Künstler im Osten gibt.

Ich stelle mir vor, dass eine hitzige Debatte darüber entbrannte, und nach der vierten oder fünften Flasche badischen Weines, kam bestimmt einer dieser Künstler auf die Idee zu testen ob es im Osten Künstler gab.

Wie das aber wahrscheinlich so ist, kam bald wieder der Alltag und das Gespräch war vergessen. Aber immer wieder mal hörte man von diesem Ostdeutschland und irgendwann sogar von einem Osteuropa, was irgendwann zum Teil Mitglied der Europäischen Union wurde. Das wurde jedenfalls im Fernsehen behauptet. (Wie klingt eigentlich osteuropäisch?)
Egal, irgendwann, man schrieb das Jahr 17 nach der deutschen Einheit, saßen die Keramiker wieder zusammen, und einer der ganz Hartnäckigen hub möglicherweise an zu sprechen und sprach (wir übersetzen in hochdeutsch):

"Lasst uns was ganz Verrücktes machen, um endlich herauszufinden, ob es Künstler in Ostdeutschland gibt. Lasst sie uns einladen.“ Und nach diesem historischen Satz wagten diese Pioniere der Völkerverständigung das bis dahin Unvorstellbare: Sie widmeten ihren Keramikmarkt 2008 dem Thema „Ostdeutschland“.

Sie wussten um die Brisanz und das Wagnis dieses Unterfangens. Auf verschlungenen Wegen kamen sie an die Adressen von so genannten Künstlern in Ostdeutschland und luden ein in die Zivilisation mit dem mutig-verständnisvollen Satz: „Das Gastthema ist diese Jahr „Ostdeutschland“ und wir würden uns freuen wenn Du/Ihr den weiten Weg in den Süden wagt.“

Ja es ist ein Wagnis, dieser Weg in den Süden, sicher für beide Seiten. Was bei diesem Experiment herauskommt kann sich jeder und jede anschauen, am 28./29.6. auf dem „Freiburger Töpfermarkt“ auf dem Vorplatz des Alten Wierebahnhofes. Ostdeutschland zu Gast bei Freunden!

Sollte das Experiment glücken, hätten wir schon weitere Gastthemenideen:

2010 „Ostpreußen“
2011 „Deutsch-Südwestafrika“

Zusatz: Nach Redaktionsschluss ereilte uns die Nachricht, dass das was die Freiburger vorhaben im westdeutschen Erkrath bereits seit langem gang und gäbe ist. Pünktlich an Ost-ern!!! findet seit der Wende der jährliche Markt „West trifft Ost“ statt. Lesen wir in die Werbung „West trifft Ost ist ein Motto seit der deutschen Wende, als die hochqualifizierten (aha) Kunsthandwerker und Designer aus der ehemaligen DDR gezielt eingeladen und in Erkrath erfolgreich ausgestellt wurden (ja das muss man schon verstehen, dass die so kurz nach der Wende noch nicht in der Lage sind selbst auszustellen) – wie auch ab 1996 die aus Ost-Europa.

Was lernen wir: Die Kunst war immer Avantgarde und die blöden Vorurteile gegenüber Ostdeutschen/Osteuropäern/Ostgoten sollten für immer der Vergangenheit angehören. Frohe Western!

Euer STADTALI

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