Qualitätsoffensive



Da sich in letzter Zeit auf FAXENWERK Pseudoreligionsfundamentalismuskritische, halbseiden recherchierte und mäßig lustige Beiträge häufen beschließe ich hiermit die Notbremse zu ziehen und die Kurzgeschichten „Der Schamane von Nowosibirsk“ und „Der Pokal“ zu veröffentlichen.

Den Anfang macht „Der Schamane von Nowosibirsk“ Ich erbitte mir äußerst freundliche Beachtung (Sensibilität) und Lobpreisungen. Kritische Kommentare jeder Art werden sofort gelöscht da ich im Moment emotional angegriffen (Sensibilität) bin.

die Geschichte befindet sich in den COMMENTS zu diesem Eintrag. Viel Spaß!

Kommentieren



spargel34, Donnerstag, 29. Mai 2008, 14:02
Der Schamane von Nowosibirsk
“Der Schamane von Nowosibirsk“

„Commin! Commin!“, brüllte der Schamane und riß den geknüpften Vorhang des Zeltes zur Seite.
Thomas und Sabine beugten die Rücken und schlurften im Entengang ins Dunkel, hinein in eine Glocke aus Schweißgeruch und verbranntem Fett.

Der Amerikaner hatte ihnen im Hotel an der Bar den Tipp gegeben diesen Mann zu besuchen- „Amazing and slightly creepy!“ Dem Amerikaner gehörte das Hotel, er kannte alle lokalen Größen der Stadt, lebte seit 5 Jahren hier und schien zu wissen wovon er sprach.

Alex war ein Glücksritter aus Jersey der sich über jeden Touristen aus dem Westen freute und alle persönlich begrüßte. Ihm gehörte auch die größte Konditorei in Nowosibirsk. „The best in damned Siberia“ wie er dröhnte. Bayerisches Schmalzgebäck und Schwarzwälder Kirschtorte. „Blackwood Cherrycake“, hatte Alex gesagt. „Ein Rezept aus Österreich!“

Thomas war zu müde ihn zu berichtigen, aber das Gespräch drehte sich ohnehin schnell wieder um den Schamanen. Thomas und Sabine waren nach mehreren Drinks belustigt gespannt. Nicht wirklich neugierig, aber nach der langen Fahrt den Ob hinauf dankbar für eine erste Abwechslung auf der „World Domination Butterfahrt“ wie Sabine diesen Urlaub nannte.

Sabine hatte ihren ersten Eindruck von Nowosibirsk nach der Taxifahrt zum Hotel „Kiew“ mit dem Wort „Drecksstadt“ zusammengefasst. Thomas war es müde geworden beleidigt auf ihre knappen Analysen zu reagieren und sich zum Anwalt der Russen und ihrer Städte zu machen.

„Nowosibirsk ist fast schon Sibirien.“ hatte Thomas gesagt. „Neusibirien.“

„Und warum sind dann hier nur alte Leute?“

„Sie haben die Stadt in den Fünfzigern ums Öl herumgebaut. Vor der Transsibirischen Eisenbahn gab es hier nur ein paar Hütten. Ist doch Wahnsinn. Was die hier aufgebaut haben.“

„Jetzt gibt es eben viele Hütten.“ hatte Sabine gesagt.

Thomas und Sabine hockten eng aneinandergepresst in einer dunklen Ecke des Schamanenzeltes auf einem Haufen Decken, die Farbe in der Dunkelheit nicht auszumachen, es war auch egal , nur die Feuchtigkeit am Gesäß beunruhigte Thomas. Sabines starrer Blick und ihre zusammengepressten Lippen sagten ihm das sie es auch spürte. „Es krabbelt“ flüsterte sie ohne ihn anzuschauen.

„Ein toter Bär“, flüsterte Thomas und erntete einen Klaps.

Der Schamane sprang mit einer durchgesägten Trommel umher die mit messingfarbenen Schellen behangen derart klirrte und schepperte das es in den Ohren zerrte wie in einer Disko. Dazu grunzte und ächzte er mit geschlossenen Augen – fand aber sicher die PLAY und STOP Taste eines uralten Kassettengerätes die er immer wieder im vorbeitänzeln betätigte.

„Ooooummmmmmrzzzz!“ stöhnte der Schamane.

„Flllliieeeebbbbbb!“ machte der Kassettenrekorder.

Aus dem Hintergrund des Zeltes schob sich das blasse Gesicht einer jungen Frau.

„Willkommen zu Zeremonie Original von alte Volk der Ewenken. Ist Zeremonie vertreiben böse Geister von Hast und Ungeduld Jäger machen um Jäger zu machen bereit für Jagd auf Rentier, Fisch und Bär. Ewenken glauben das unruhige Herz machen auch unruhig Rentier Fisch und Bär so das fliehen und keine Erfolg für Jäger.“

„Interessant.“ sagte Thomas.

Sabine verdrehte die Augen.

„Schamane Achio Uranzew von Familie Golobodkin hat überkommen sein Wissen von Großvater Schamane Pjotr Iljitsch Uranzew Golobodkin, der bekommen sein Wissen über Zauber von seine Vater, so wird von Generation zu Generation übergeben uralte Wissen von Zeremonie.“

„Offenbar hat er aber nicht alles richtig verstanden,“ flüsterte Sabine.

Achio Uranzew Golobodkin hüpfte auf einem Bein um eine mit LED- Lämpchen imitierte Feuerstelle, dabei fegte der linke Flügel seines Fellmantels eine Batterie Flaschen vom Tisch

„Er ist betrunken“, zischte Sabine.

Der Schamane wirbelte mit glasigem Blick herum, strauchelte und hieb im fallen noch einige Male auf sein Schlaginstrument.

„Hier sind alle betrunken, sagte Thomas. „Es wäre ungewöhnlich wenn ausgerechnet der Schamane NICHT betrunken wäre.“

Die blasse Frau verschwand im Dunkel des Zeltes als wäre sie nie da gewesen, oder als gehöre sie zu einer Kulisse die sich mittels unsichtbarer Seile hinauf und hinabsenken ließ.
Thomas dachte an den ersten Tag auf dem Schiff das sie voll Neugierde auf die russische Landschaft, die russischen Menschen betreten hatten, die Dresdner Blässe hinter sich lassend und der Blässe des Sibirischen Herbstes entgegen schwimmend.

1490 Kilometer den Ob hinauf – kein Urlaub, sondern ein echtes Abenteuer.

Die Witzeleien mit Sabine in der engen Kajüte, verbunden mit Erinnerungen an die Schule. Seine Russischlehrerin Frau Wiedemann wäre stolz auf ihn. Er dachte an ihre mächtige Holzperlenkette und zog sie in Gedanken Sabine an. Frau Wiedemanns Brüste waren wie der Ararat – das Gebirge allerdings mehr Richtung Armenien und ihm fiel der Ural nicht ein – der schließlich nur ein Gebirgskamm war, der Nowosibirsk von Moskau trennte wie ein riesiger alter Raumteiler.

„Willst Du nicht was tun?“, sagte Sabine. „Wir haben immerhin dafür bezahlt. Jetzt sieh dir das an.“

Der Schamane kauerte vor den beiden und sie sahen deutlich im offenen Mund des Männchens einen Frosch. Es war wohl das was der Amerikaner mit „creepy“ gemeint hatte.
Es war nicht nur „creepy“ sondern voll und ganz „spooky“, oder was sonst für Schulenglischausdrücke Thomas in den Kopf schossen.

Aber zunächst schoss der Schamane wie eine Silvesterrakete nach oben.

Der Frosch blieb zurück und musterte vom Boden aus Thomas und Sabine die noch lange vor dem Punkt waren an dem sie begriffen was gerade geschehen war.

Thomas und versuchte in eine aufrechte Position zu kommen – Sabines Beine waren eingeschlafen und ihre Augen drauf und dran die Höhlen zu verlassen. Sie zog sich an Thomas Arm nach oben und wortlos traten sie nach vorn in einen weiteren Haufen Decken und Flaschen, in deren Mitte noch immer die künstliche Feuerstelle blinkte.

Das Zelt war etwa 4 Meter hoch, davon 3 sichtbar, der Rest verschwand im Dunkel und irgendwo dort oben war das murren und stöhnen den Schamanen zu hören. Ab und zu huschte ein Fuß zappelnd und tretend in den Lichtkegel - als ob Urganzew mit aller Kraft etwas unsichtbarem Widerstand leistete.

„Es zieht ihn durch die Decke,“ sagte Sabine. „Mach doch mal was!“

Thomas hatte im Zirkus ähnliches gesehen, wahrscheinlich waren Seile im Spiel, geschickt angebracht und bedient von der blassen Frau. Nur das diesmal wohl etwas schiefgegangen war. Wahrscheinlich hatte sie auch aus Angst vor ihrem Chef das Zelt verlassen.
Nein, hatte sie gar nicht. Die blasse Frau war so blass geworden das sie fast durchsichtig schien. Nein, nicht SCHIEN, wie Thomas bemerkte, sie WAR es tatsächlich

Sie starrte wie die beiden Dresdner zu dem unglücklich strampelnden und inzwischen lauthals brüllenden Schamanen hinauf, der in seiner Angst Wasser ließ.

Thomas sah wie einige Tropfen auf ihr landeten und in ihre Haut hineinzusinken schienen, hindurch, ins linke Schulterblatt hinein und in Höhe ihrer Hüfte schimmerte deutlich die Ikone von der anderen Seite des Zeltes hindurch, wie zwei Bilder auf Pauspapier die man übereinander schiebt.

Möglicherweise war es doch ein Unfall mit mangelhaft gesichertem und beherrschtem Hokuspokusfirlefanz. Aber eine Frau die unsichtbar wird war doch schon heftig. Thomas fühlte sich hilflos, die Angst nagte in seinem Magen, Sabine hielt seine Hand umklammert und sagte immer wieder das man doch etwas tun muss. Die blasse Frau verschwand vollends, und Thomas suchte die Stelle im Zelt von der aus der Seilmechanismus betätigt werden konnte, aber es war nichts zu finden.

Das Gebrüll des Schamanen an der Zeltdecke wurde schwächer, es verblasste wie seine Kollegin bis völlige Stille herrschte. Sabine legte den Kopf an Thomas Schulter und schloss die Augen. „Drogen“, sagte sie. „Irgendwas mit Drogen. Die haben uns welche gegeben, oder die haben welche genommen oder alles zusammen. Keine Ahnung. Lass uns gehen.“


Draußen auf der Hauptstrasse rollte der Spätnachmittagsverkehr, die Kälte schien das Licht der Laternen gefrieren zu lassen und Thomas glaubte einen Hauch zwischen den Schneeflocken zu sehen, ein silbriges Wölkchen das um einen der gläsernen Lichtstäbe taumelte um kurz darauf in den dunkelroten Himmel hinaufzuschießen. Es konnte aber auch Sabines Atemwolke gewesen sein als sie zum Wagen der Miliz gebeugt erklärte was sie gerade erlebt hatten.

Auf der Polizeiwache später machte der Beamte eine Geste wie: Kein Seil?
Explosion? Nein. Thomas und Sabine hatten nichts bemerkt. Schon der Gedanke.

Lächerlich.

Eine Explosion die einen, wenn auch mageren Mann, etwa 5 Meter in die Luft befördert hätte nicht nur ihn, sondern auch das Dresdner Paar in seinem Aufenthaltsort verändert. Als Ingenieur wusste Thomas das eine Explosionsquelle, egal welcher Art die so etwas bewerkstelligen könnte, niemals punktgenau und in gerader Linie aufwärts wirken würde ohne größere Schäden auch in der Umgebung anzurichten.

„Wodka?“ fragte der Beamte und schaute ernst. Ob wir Wodka haben wollen? "Nein- Ob der Schamane..."

Sabine machte das Zeichen für viel Wodka.

Das der Wodka für den tödlichen Flug des Schamanen ans die Holzbohlen des Zeltdach verantwortlich gewesen sein sollte schien beiden völlig lächerlich und nach einigen Sekunden auch dem Beamten und alle drei lachten bis sich Ratlosigkeit in die offenen Münder hineinschlich und sie ratlos verstummten.

„Du warten“, sagte der Beamte und schickte sie auf den Gang.

Thomas rief im Hotel an und schilderte Alex dem Amerikaner die Lage. „Dein Schamane hat einen Frosch in den Mund genommen und ist an die Decke geschossen. Jetzt ist er tot. Und eine blasse Frau hat sich in Luft aufgelöst.“ Alex lachte und sagte: „Creepy, didnt i say?“ und Thomas sagte “You didnt say deadly.” Und sie lachten beide. Sabine auch.

Im Polizeirevier herrschte die ganze Nacht Unruhe, Milizionäre kamen und gingen, musterten im vorbeigehen die beiden Touristen, immer wieder Befragungen, Teile des Schamanenzeltes wurden hereingeschleppt, einer der Beamten trug sogar ein Glas mit dem Frosch vorbei.

Der Beamte füllte Unmengen von Formularen aus , Thomas und Sabine unterschrieben, Stempel klackten und allmählich schob sich der Tag in das Polizeibüro. Die gleichmütige Sonne von Nowosibirsk die so viel gesehen hatte sah jetzt ein übernächtigtes Paar aus Dresden den Sewanzow Boulevard hinablaufen, zur schönsten Konditorei der Stadt, errichtet von einem dicken Amerikaner, und den Schrecken der Nacht mit zwei gefüllten Mohn- Apfelhörnchen verschwinden lassen.
Sabine lächelte und kaute, Thomas lächelte, jeder in eine andere Richtung. Womöglich lächelten sie auch in sich hinein, oder in das was sie dafür hielten.


Holger Schmalfuß Faxenwerk 2008

prieditis, Sonntag, 1. Juni 2008, 21:26
hat mir gut gefallen!